Nachdem die Rote Armee am 4. April Bratislava eingenommen hat, marschiert sie am 9. Mai in Prag ein. Aus dem Reichsprotektorat Böhmen und Mähren wird wieder die Tschechoslowakische Republik (ČSR), wie sie nach dem I. Weltkrieg 1918 entstanden ist.
Der Präsident der tschechoslowakischen Exilregierung, Edvard Beneś, bildet auf Befehl aus Moskau die Regierung der „Nationalen Front“ bestehend aus Kommunisten, Sozialdemokraten, Sozialisten, der Katholischen Volkspartei und den slowakischen Demokraten. Ministerpräsident wird Zdenék Fierlinger.
Am 16. Mai 1945 kehrt Beneś aus dem Londoner Exil in sein Heimatland zurück. | Quelle: ČTK
Es beginnt ein Kapitel deutsch-tschechischer Geschichte, deren Narben bis heute sichtbar sind und die im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt Tschechiens im Jahr 2004 wieder aufbrechen.
Quelle: ABL
Angesichts des Terrors vor und während des Krieges gibt es wenig Skrupel nach Vergeltung gegen die auf tschechischem Staatsgebiet siedelnden Sudentendeutschen (ca. 3 Mio.) und Ungarn. Historisch tiefer liegende nationalistische Ressentiments zwischen Deutschen und Tschechen entladen sich durch die traumatischen Erfahrungen der letzten Jahre in Rache. Mit Bezug auf die deutsche „Kollektivschuld“ wird eine planlose Vertreibung bis hin zum Morden gerechtfertigt.
Aussagen von Edvard Beneś:
Beneś-Dekrete: „Die gesamte Habe wird konfisziert.“
Die sogenannten Beneś-Dekrete, als eine Art „Notverordnungen“ der Exilregierung in London und der Nachkriegsregierung in Prag von 1940 bis 1945 erlassen, rechtfertigen das Vorgehen der Bevölkerung. Mitunter geschieht dies in Absprache mit dem sowjetischen Militär. Von den 143 Dekreten betreffen acht die deutschen und ungarischen Minderheiten.
Ein provisorisches Parlament, im Oktober 1945 gewählt, legitimiert die Dekrete im Nachhinein. (Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)
Völkerrechtliche Legitimierung
Auf der Potsdamer Konferenz vom 17. Juli bis 2. August 1945 werden die „wilden“ Vertreibungen auch völkerrechtlich legitimiert. Die großen Drei (Churchill, Truman, Stalin) beschließen die ethnische Aufteilung Osteuropas. Neben den Deutschen (ca. 12 Mio.) sind es vor allem Polen (ca. 1,7 Mio.), die z.T. jahrhundertealte Siedlungsgebiete verlassen müssen und in den neugezogenen nationalstaatlichen Grenzen leben sollen.
Der Versuch, die Welt zu befrieden, führt nach dem barbarischen Krieg zu einer neuen humanitären Katastrophe.
Quelle: Bundesarchiv
Mit der Vertreibung der Sudetendeutschen findet eine staatlich sanktionierte Enteignung statt. Dadurch sind diese Ereignisse bis in die Gegenwart brisant. Nach einem jahrzehntelangen Verschweigen in der ČSSR und der DDR weckt eine einsetzende Aufarbeitung die Befürchtung der Rückübertragung alter Eigentümer. Deutsche revisionistische Vorstellungen, z. T. politisch instrumentalisiert, nährten diese Befürchtungen.